Cover des Buches "Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte"
Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte, 1016 Seiten ISBN 978-3-384-05017-5, 38 Euro

1548 – Agneta Willeken verklagt die Stadt Hamburg, um sich zu rächen

Die Mühlen des Reichskammergerichts mahlten sehr langsam, zu langsam für Agneta Willeken, die starb, bevor ein Urteil erging. Auch ihre beiden Töchter, um deren schlechte Behandlung es in dem Prozess ging, waren verstorben – ebenso die Anwälte der Klägerin und der Stadt Hamburg auch. So erlebte Agneta Willeken nicht mehr den Triumpf, die Stadt Hamburg erfolgreich verklagt zu haben. Die Entschädigung kam den Erben der Klägerin und ihrer Töchter zugute.

Wer war die streitbare Frau, die gegen ihre Heimatstadt vor das höchste Gericht zog? Sie wurde etwa 1497 in Hamburg geboren. Ihr Vater war ein wohlhabender Brauer und besaß ein stattliches Haus am Hopfenmarkt. Seine Frau Margaretha und er hatten sechs Töchter, von denen Agneta die älteste war. In jungen Jahren heiratete sie Hans Willeken, einen Islandfahrer. Er betrieb also Handel mit Island, leider ohne Erfolg, sodass er 1527 zahlungsunfähig war und Hamburg verlassen musste. Er starb einige Jahre später verarmt in Lübeck.

Agneta Willeken blieb in Hamburg und nahm nun entschlossen ihr Schicksal selbst in die Hand. Ihre beiden Töchter übergab sie ihrer Schwester, begann eine Beziehung zu dem Schmied Marx Meyer und stachelte dessen Ehrgeiz an. Der Historiker Heinrich Reincke hat dies in seinem 1928 erschienen Lebensbild „Agneta Willeken“ so beschrieben: „Sie wollte ihn groß sehen und sich groß! So reizte sie in ihm den Wagemut und die Abenteuerlust und trieb ihn hinaus in die Welt zu Kampf und Sieg. Marx Meyer hat es frei und offen selbst anerkannt, was er ihr und ihrem Ehrgeiz verdankte.“

Unter ihrem Einfluss gab er das Schmiedehandwerk auf und begann eine militärische Laufbahn in Lübeck. Agneta Willeken blieb in Hamburg, konnte aber seinen Ehrgeiz auch aus der Ferne wach­halten, und tatsächlich stieg er zum Feldhauptmann der immer noch ziemlich mächtigen Stadt Lübeck auf.

Sie soll auch einen Einfluss darauf gehabt haben, dass Marx Meyer und über ihn der Lübecker Bürgermeister Jürgen Wullenwever die Hansestadt in die Erbfolgekonflikte am dänischen Königshof verwickelten. Lübeck hatte erleben müssen, dass seine wirtschaftliche Vormachtstellung im Ostseeraum schwand, seit sich der Handel im 16. Jahrhundert in den Nordseeraum und nach Übersee verlagerte.

Zudem tauchten immer mehr holländische Schiffe in der Ostsee auf und betrieben erfolgreich Handel. Die Lübecker begannen sogar unter Beteiligung von Marx Meyer Kaperfahrten, um die holländischen Schiffe zu vertreiben, allerdings ohne den gewünschten Erfolg. Die letzte Hoffnung war, durch die Beteiligung an den dänischen Erbfolgekonflikten zu erreichen, dass ein neuer lübeckfreundlicher dänischer König den Holländern die Durchfahrt durch den Sund verbieten würde.

Ohne Kriegserklärung begann Marx Meyer 1534 einen Feldzug in Holstein, um die Burgen der Familie Rantzau zu erobern, die in den dänischen Erbfolgeauseinandersetzungen auf der von Lübeck bekämpften Seite stand. Mit dem überraschenden Angriff erzielten die Lübecker zunächst einige militärische Erfolge. So konnte Meyer das Schloss der Rantzaus in Trittau erobern und plündern. An dieser Plünderung beteiligte sich Agneta Willeken, die für sich und ihre Töchter größere Mengen teurer Kleidung mit zurück nach Hamburg nahm. Heinrich Reinecke schreibt: „Die Tage, da Marx Meyer auf Trittau saß, bildeten den Höhepunkt in Agnetas Leben. Fast täglich war sie mit ihrem Ritter zusammen und lebte herrlich und in Freuden.“

Allerdings konnten die Gegner der Lübecker rasch mit neuen Truppen den Kriegsverlauf zu ihren Gunsten verändern. Im Mai 1536 kämpften Marx Meyer und seine Mannen in Skandinavien auf verlorenem Posten. Agneta Meyer sandte ihrem Liebhaber einen Brief, den dänischen Truppen abfingen. Darin ging es nicht nur um die Aufmunterung Meyers, sondern auch um erotische Details ihrer Liaison. Den Brief ließ das dänische Königshaus vervielfältigen und weit streuen. Da das Original nicht mehr existiert, muss offenbleiben, ob er um skandalträchtige Passagen ergänzt wurde. Der Brief schadete dem Ruf Agneta Willekes in Hamburg nachhaltig. Aber den beteiligten Männern erging es wesentlich schlechter. Marx Meyer musste kapitulieren und wurde hingerichtet. Der Lübecker Bürgermeister Wullenwever wurde gestürzt, festgenommen, gefoltert und ebenfalls hingerichtet.

Heinrich Reincke schrieb über die nun entstandene Situation: „Mit Marx Meyer schien auch Agneta vernichtet: ihr brennender Ehrgeiz hatte sein Ziel verfehlt. Mit der Rolle, die sie spielen wollte, schien es endgültig aus zu sein. Aber – es schien nur so. Denn kaum war der erste Kummer verwunden, da wußte sie einen anderen hochgestellten Mann völlig zu betören, so dass er Ehre und Eid vergaß. Das war Joachim Wollenwever, der ältere Bruder Jürgens, des gestürzten lübischen Bürgermeisters.“

Er genoss in Hamburg als Kaufmann und Ratsherr ein hohes Ansehen – jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, wo seine Verbindung zu Agneta Willekes bekannt wurde. Man warf ihm nicht nur diese Liaison vor, sondern es entstand auch der Verdacht, er hätte die Hamburger Interessen in Zusammenarbeit mit seinem Bruder verraten. Man schloss ihn daraufhin 1536 aus dem Rat aus. Er verließ die Stadt und starb zwei Jahre später verarmt in Schweden.

Hamburg hatte sich wohlweislich aus den Erbfolgestreitigkeiten in Dänemark herausgehalten und konnte 1538 den neuen dänischen König Christian III. freundschaftlich in der Stadt begrüßen. Die Besucher wurde in das beliebte Eimbecksche Haus zu einem großen Fest eingeladen. Das hätte ungetrübt verlaufen können, wären nicht die 18 und 15 Jahre alten Willeken-Töchter durch einen Nebeneingang in den Saal gelangt, wahrscheinlich auf Geheiß ihrer Mutter.

Die wie adlige Fräulein gekleideten schönen jungen Frauen mit den von der Mutter geraubten Kleidern und Schmuck aus dem Schloss der Rantzaus in Trittau fielen den jungen dänischen Gästen gleich auf. Aber auch Melchior Rantzau erspähte die jungen Damen. Der holsteinische Ritter und Politiker im Dienst des dänischen Königs war erbost, als er erfuhr, wer diese beiden Damen waren und vor allem, wer ihre Mutter war. Er beschwerte sich beim Bürgermeister und der veranlasste, dass die Töchter Willeken von einem Stadtdiener aus dem Saal gewiesen wurden.

Die Mutter war empört über die Behandlung ihrer Töchter und über deren durch den Skandal gesunkene Heiratsaussichten. Es gelang der Mutter trotzdem, ihre Tochter Anna mit dem Mecklenburger Hans Kopeke, der als berittener Soldat im Dienste Hamburgs stand, zu verheiraten. Die Schwiegermutter veranlasste ihn dazu, Hamburg am 1. Dezember 1540 die Fehde anzusagen. Das hätte wie bei Don Quichote enden können, denn die Zeit der Ritterfehden war Mitte des 16. Jahrhunderts definitiv vorbei und ein einzelner Ritter der mächtigen Stadt Hamburg hoffnungslos unterlegen.

Aber die Geschichte nahm einen tragischen Verlauf. Kopeke überfiel zwei oder drei Jahre lang Hamburger Kaufmannswagen und machte zunächst reiche Beute. Heinrich Reincke schrieb über diese Zeit: „Immer mehr sank Kopekes Schar zu einer bloßen Räuberbande herab. Verwegene Gesellen aus aller Welt, die seit den nordischen Friedensschlüssen soldlos durch die Lande streiften, schlossen sich ihm an, heruntergekommene Adlige des südlichen Mecklenburg und der Provinz schämten sich nicht, Unterschlupf zu gewähren und an der Beute teilzunehmen.“ Agneta Willeken soll die Raubzüge unterstützt und neue Räuber angeworben haben. Kopeke wurde schließlich festgenommen und hingerichtet.

Zehn Jahre nach dem Vorfall im Eimbeckschen Haus, im Jahre 1548, wählte Agneta Willeke eine neue Strategie, um sich an Hamburg zu rächen. Sie verklagte die Stadt vor dem Reichskammergericht auf die Zahlung von 24.000 Gulden, das entsprach dem Jahreshaushalt der Stadt, als Entschädigung dafür, dass die beiden Töchter aus dem Tanzsaal vertrieben worden waren. Das Urteil wurde erst 1583 gefällt, etwa zwei Jahrzehnte nach dem Tod der Klägerin. Der Klägerin sprach das Gericht 1.000 Gulden zu, die Gerichtskosten musste Hamburg ebenfalls zahlen. Anschließend gab es noch einen Rechtsstreit über Einzelheiten der Zahlung an die Erben und die Höhe der Kostenerstattungen.

Erst 1590 konnte das Reichskammergericht den Vorgang nach 42 Jahren abschließen. Andrea Schampier hat einen Roman über das bewegte Leben von Agneta Willeke geschrieben. In einem Interview sagte sie 2007 zum Charakter dieser Frau: „Ja, sie ist kein linearer Charakter. Sie ist widersprüchlich und verhängnisvoll. Weil sie eine so attraktive Frau war – das ist keine Erfindung, das belegen die Prozessakten -, hat sie viele Männer in ihren Bann gezogen. Und ins Unglück gerissen.“

 

Dass in Hamburg kein Straßenname an Agneta Willeke erinnert, kann angesichts ihres Lebensweges nicht überraschen.

 

Aus: Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte

© Frank Kürschner-Pelkmann