Bischof George Ninan
Bischof George Ninan Foto: CCA

Ninan, George – ein indischer Bischof an der Seite der Armen und Marginalisierten

 

„Wir müssen eine Gegenposition zu einer Weltkultur aufbauen, die sich in Richtung auf Fragmentierung, Konsumfixierung, Zerstörung der Umwelt, Marginalisierung der Armen, Unterdrückung der feministischen Bewegung etc. entwickelt. Wir müssen eine Gegenkultur fördern durch Predigt, Unterricht sowie andere Institutionen und Organisationen.“[1] So hat der indische Bischof George Ninan die Aufgabe der Kirche angesichts der negativen Auswirkungen der vorherrschenden Globalisierung formuliert.

 

Er gehörte zu den bedeutendsten prophetischen Persönlichkeiten seiner Kirche und setzte sich für eine neue Rolle der Kirche in der Gesellschaft und nicht lediglich die Durchführung immer neuer Entwicklungsprojekte ein. In einem Vortrag stellte er heraus: „Ich will mit der Hoffnung schließen, dass die weltweite Kirche und besonders die Kirche in Indien darüber hinausgeht, Projekte zu betreiben und wirklich zu einer Bewegung des Volkes wird, die mit allen anderen positiven Bewegungen in Indien daran mitwirkt, Gerechtigkeit, Frieden und eine zukunftsfähige Gesellschaft zu schaffen.“

 

Schon in der Jugend erste Erfahrungen in der interreligiösen Zusammenarbeit gesammelt

 

George Ninan wurde am 4. August 1934 im Dorf Kaviyoor im südindischen Bundesstaat Kerala geboren. Seine Eltern waren von der anglikanischen Missionsarbeit in Indien geprägt. Anders als viele andere christliche Führungspersönlichkeiten besuchte George Ninan keine der angesehenen kirchlichen Schulen und Colleges, sondern eine hinduistische Schule und dann ein hinduistisches College in der Kleinstadt Alleppy.

 

Später bezeichnete er dies als wichtige Erfahrung eines interreligiösen Dialoges, der im Alltagsleben beginnt. Bereits in jungen Jahren engagierte er sich auf Seiten Gandhis im indischen Unabhängigkeitskampf und hatte Verbindungen zur Ashram-Bewegung Gandhis. Er beteiligte sich gleichzeitig in der christlichen Jugendarbeit und wurde Jugendsekretär der Zentraldiözese in Kerala.

 

Theologisch gut gebildet und zugleich sozial engagiert

 

George Ninan studierte anschließend Theologie am „Leonard Theological College“ in Jabalpur. Hier wurde er im „Student Christian Movement“ (SCM) aktiv und lernte dort seine spätere Frau Rahel kennen, die aus einer Pastorenfamilie stammte und als Lehrerin arbeitete. Sie heirateten 1961 und hatten drei Kinder.

 

Nach dem Abschluss des Studiums wurde George Ninan 1864 Pastor der „Church of North India“. Zunächst arbeitete er an der „All Saints' Cathedral“ in Nagpur, wo ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit auf der kirchlichen Jugendarbeit lag. Man berief ihn bald ungeachtet seiner Jugend zum leitenden Pfarrer dieser bedeutenden Kirche.

 

George Ninan erhielt 1970 vom „Ökumenischen Rat der Kirchen“ ein Promotionsstipendium und erwarb den Doktortitel an der „Philips University“ in den USA. Nach der Rückkehr in seine Heimat engagierte er sich in der „Urban Industrial Mission“-Arbeit in Bombay, heute Mumbai. Dort ergriff er 1973 die Initiative für die Gründung der „Bombay Urban Industrial League for Development“ (BUILD), eine der Pionierorganisationen der sozialen Aktionsbewegung in Indien, und war bis 1979 deren Direktor.

 

Parallel gründete George Ninan weitere aktionsorientierte Bewegungen und Einrichtungen, die den Armen bei der Verteidigung ihrer Rechte helfen. Aus dieser Zeit ist überliefert, dass so viele Besucher in das Haus der Ninans kamen, dass jeden Tag mindestens 75 Tassen Tee ausgeschenkt wurden.

Über Bombay hinaus bekannt wurde George Ninan dadurch, dass er den Bewohnern von Armenvierteln der Stadt dabei half, sich gegen die von der Stadtverwaltung geplante Vertreibung zur Wehr zu setzen. Auf dem Gelände der Slums waren Erholungseinrichtungen für die Reichen der Stadt geplant. George Ninan engagierte sich zum Beispiel auch für Fischerfamilien, deren Existenz durch Fabrikschiffe bedroht war, die die Küstengewässer leerfischten.

 

Auch sein Eintreten für die Dalits, die sogenannten „Unberührbaren“, brachte ihn immer wieder in Konflikt mit den staatlichen Autoritäten. In der Zeit des Ausnahmezustandes unter Indira Gandhi vom Juni 1975 bis zum Januar 1977, als viele Kirchenvertreter sich mit öffentlichen Äußerungen und Aktionen zurückhielten, setzte George Ninan sein Engagement an der Seite der Armen fort. Seine Freunde schätzten damals wie auch später an ihm, dass er sich mit den vielen kleinen Details eines Problems intensiv auseinandersetzte, aber darüber die großen Visionen in der Nachfolge Jesu nicht aus dem Auge verliert.  

 

Leitende Aufgaben in der „Christlichen Konferenz von Asien“

 

1979 wurde Dr. George Ninan zum Exekutivdirektor für den Programmbereich „Urban Rural Mission“ (URM) der „Christian Conference of Asia“ (CCA) berufen. Die CCA ist der ökumenische Zusammenschluss protestantischer und orthodoxer Kirchen in Asien. George Ninan wurde bereits nach einem Jahr stellvertretender Generalsekretär der Organisation und trug wesentlich dazu bei, dass die CCA weiterhin ihre Stimme für die Armen Asiens erhob.

 

Die CCA-Programmatik „Struggling with People is Living in Christ“ wurde von George Ninan mitgestaltet und brachte das Bemühen zum Ausdruck, die Verheißungen der Bibel auf die konkrete soziale Situation in Asien zu beziehen und daraus Anleitung und Kraft für das eigene Engagement zu gewinnen. Die CCA hatte damals ihren Sitz in Singapur, wurde aber 1987 aus diesem wirtschaftlich erfolgreichen, aber autoritär regierten Stadtstaat ausgewiesen. Der Grund war das CCA-Engagement für Menschenrechte und für eine Verbesserung der Lebenssituation der Armen und Unterdrückten in Asien. Die CCA verlegte ihren Hauptsitz daraufhin nach Hongkong.

 

Engagement in sozialen Bewegungen in Indien

 

1990 kehrte George Ninan nach Indien zurück, wo er in Bombay als Pfarrer der „Church of North India“ (CNI) und als Direktor von „Vikas Adhyan Kendra“, einem Studien- und Dokumentationszentrum, arbeitete. 1994 trug er entscheidend zur Gründung des "Indian National Social Action Forum“ (INSAF) bei, dem Zusammenschluss von über 400 sozialen Bewegungen, progressiven Intellektuellen und sozial engagierten Institutionen aus allen Teilen Indiens, darunter Vertretern aller größeren Religionsgemeinschaften und säkularen Traditionen.

 

1993 wurde George Ninan zum Direktor des „Board of Social Services“ (vergleichbar einem Diakonischen Werk) der „Church of North India“ berufen. Ein Jahr später wählte man ihn zum Bischof der Nasik-Diözese seiner Kirche, die in der CNI als „Dalit-Diözese“ bekannt ist, weil hier ein besonders hoher Anteil von Dalits zur Kirche gehört.

 

Der Bischof mahnt den prophetischen Auftrag der Kirche an

 

Als Bischof hat George Ninan sich wie zu erwarten in seiner Diözese für die Belange der Dalits und der übrigen Armen eingesetzt. Auch blieb er ein kritischer Begleiter des Weges seiner Kirche und äußerte zum Beispiel sein Bedauern darüber, dass die zwei Dutzend Diözesen der „Church of North India“ sich zu kleinen Königreichen entwickelt hätten. Die Bischöfe der Kirche seien auch menschliche Wesen und brauchten deshalb auch eine pastorale Begleitung ihrer Arbeit. Auch solle dem Bischofsamt der „Glamour“ genommen werden und es sollte zum Beispiel möglich werden, Bischöfe wie Pfarrer von einer Diözese in eine andere zu versetzen. Solche Ideen waren in seiner Kirche nicht mehrheitsfähig.

 

Bei einem Seminar des Christenrates von Indien beschrieb Bischof Ninan sein Verständnis der Aufgaben der Kirche so: „Ich sehe die Hauptaufgabe der Kirche darin, dass sie prophetisch sein, den christlichen Sozialgedanken vorantreiben und auf die Vision einer neuen Gesellschaft hinweisen sowie eine Gegenkultur fördern soll.“[2]

 

Kritik an der vorherrschenden Globalisierung

 

Bischof Ninan gehörte zu den wichtigsten kirchlichen Kritikern der Globalisierung und ihrer Auswirkungen in Indien. So diagnostizierte er, dass zwar ein Teil der indischen Gesellschaft in die globale Ökonomie integriert werde, aber ohnehin verletzliche Gruppen wie die Dalits und Adivasi nicht mehr benötigt würden.

 

Zu den Auswirkungen der Globalisierung auf Frauen stellte Bischof Ninan fest: „Im Bezug auf eine gleichstellende Gerechtigkeit für Frauen und Männer (gender justice“) fördert das herrschende System der Globalisierung eine männliche chauvinistische Kultur. Die Aggressivität, der Mangel an Sorge für die Mitmenschen, die ausufernde Zerstörung menschlichen Lebens und der Umwelt sind Symptome für eine männliche chauvinistische Kultur. Wir müssen dies durch humanere und weibliche Kulturen ersetzen und eine Gesellschaft schaffen, in der die Schwächsten ebenso ihren Platz finden und in menschlicher Würde leben können.“ [3] 

 

Die drohende Verhaftung eines sozial engagierten Bischofs

 

Im August 1999 ging George Ninan mit 65 Jahren in den Ruhestand. Aus diesem Anlass fand ein Seminar mit etwa 40 Vertreterinnen und Vertretern sozialer Bewegungen, Wissenschaftlern und kirchlichen Persönlichkeiten in Ahmednagar im Bundesstaat Maharashtra statt. Dort wurde auf Einladung von BUILD über ein indisches Kairos-Dokument diskutiert. Das südafrikanische Kairos-Dokument wurde zum Anstoß und als Inspiration genommen, um ein entsprechendes indisches Dokument zu erarbeiten. Dr. James Massey hatte einen Entwurf für dieses Dokument erarbeitet, der nun diskutiert wurde.

 

Bischof George Ninan nahm in einem Referat zu bevorstehenden Wahlen in Indien Stellung: „Wir, die wir uns dem Wohl der Menschen verpflichtet fühlen und sie darin unterstützen, Macht zu erlangen, sollten sie dazu ermutigen, für Parteien zu stimmen, die eine säkulare, demokratische Orientierung haben und an die Freiheit für alle glauben.“[4] Angesichts des wachsenden Einflusses hindufundamentalistischer Parteien, die eine Emanzipation der Dalits, Adivasi und anderer marginalisierter Gruppen verhindern wollten, war die Botschaft des Bischofs unmissverständlich. 

 

Auf einer Pressekonferenz im Anschluss an das Seminar ging der Bischof erneut auf politische Wahlen und christliche Positionen gegenüber Hindufundamentalisten ein. Seine Aussagen fanden sofort ein großes Echo in der indischen Presse. Die politische Führung des Bundesstaates ließ Anklage gegen die beiden kirchlichen Persönlichkeiten James Massey und George Ninan erheben und gab der Polizei die Order, beide zu verhaften.

 

James Massey hatte zu diesem Zeitpunkt den Bundesstaat aber bereits wieder verlassen. Im Haus von Bischof Ninan erschien die Polizei, zögerte aber, einen Bischof zu verhaften. Sie boten ihm an, gegen eine Kautionszahlung auf eine Inhaftierung zu verzichten. Das lehnte George Ninan strikt ab und auch zu einer Entschuldigung für seine Aussagen war er nicht bereit. Während der Verhandlungen mit der Polizei versammelten sich immer mehr empörte Christinnen und Christen vor dem Haus des Bischofs, und die Polizisten beschlossen, auf eine Festnahme zu verzichten. Letztlich verlief die Anklage gegen die Ninan und Massey im Sande, war aber ein deutliches Anzeichen dafür, welche Risiken sozial engagierte Christinnen und Christen eingingen, wenn sie sich öffentlich kritisch zu sozialen Missständen und religiösem Fundamentalismus äußerten.  

 

Das Vermächtnis eines bedeutenden Sprechers der ökumenischen Bewegung

 

Im Ruhestand lebte George Ninan in Mumbai, wo er sich weiterhin für eine noch engere Zusammenarbeit der sozialen Bewegungen engagierte und zum Sekretär des hochangesehenen „Joint Council“ der Kirchen von Nord- und Südindien und der Mar Thoma-Kirche berufen wurde, das sich um eine intensive Zusammenarbeit dieser Kirchen bemüht.

 

George Ninan und seine Frau wanderten 2001 in die USA aus, wo ihre drei Kinder bereits lebten. Dort engagierte er sich ehrenamtlich in der Kirche, besonders in Sozialprogrammen. Er starb am 21. Juni 2015 in New York. Georges Lemopoulos, zu dieser Zeit amtierender Generalsekretär des „Ökumenische Rates der Kirchen“, erklärte in einem Nachruf: „Wir betrauern den Tod und den Verlust eines großen ökumenischen Führers. Wie beten dafür, dass die indischen Kirchen sein Erbe fortführen und für eine Verbesserung des Lebens der armen und marginalisierten Menschen arbeiten werden.“[5]

 

Vor seiner Übersiedlung in die USA hatte er in einem Zeitschriftenaufsatz seine Sorge über die Zukunft der ökumenischen Bewegung in Zeiten der Globalisierung zum Ausdruck gebracht:

 

„… mit der Globalisierung ist die ökumenische Bewegung als Ganze schwach geworden hinsichtlich ihres Einflusses und ihrer Unterstützung für die Armen … Wir müssen unser ökumenisches Engagement im neuen Jahrtausend erneuern. Es sollte über die Kirchen hinaus gehen und die Einheit aller Menschen und der Umwelt bekräftigen. Nur in einer solchen inklusiven Gesellschaft der Armen werden wir in der Lage sein, an der Fülle des Lebens teilzuhaben und sie zu verwirklichen.“ [6]

 

© Frank Kürschner-Pelkmann



[1] Zitiert nach: Frank Kürschner-Pelkmann: Kairos in Indien, EMW-Informationen Nr. 122, September 1999, S. 14

[2] Zitiert nach: Informationsbrief 9/97 des Evangelischen Missionswerkes in Südwestdeutschland, Stuttgart 1997, S. 28

[3] Ebenda, S. 10f.

[4] Zitiert nach: Kairos in Indien, a.a.O., S. 12

[5] Bishop George Ninan of India dies at the age of 80, WCC News, 26.6.2015

[6] George Ninan: Life in all its Fullness – Church, Wealth and Poverty: Church’s Solidarity with the Poor, in National Council of Churches Review, 2/2000, S. 134