„Power“ für alle in der Telekommunikation

 

Die Dynamik des Internets ist so gewaltig und das große Geschäft so verheißungsvoll, dass die meisten Regierungen auf der Welt viel unternehmen, um zu verhindern, dass ihre Länder abgehängt werden. Das große Geschäft machen Unternehmen, die die Internet-Präsenz professionell nutzen, um ihre Produkte weltweit anzupreisen und zu vermarkten. Die Gefahr besteht, dass vor allem große Teile Afrikas noch stärker vom dynamischen internationalen Wirtschaftsprozess ausgeschlossen werden. Dafür gibt es viele Gründe, ein gravierender Grund ist die desolate Situation des Telekommunikationsbereichs in den meisten afrikanischen Ländern. Zudem sind in Afrika die Telefongebühren exorbitant hoch, dafür ist die Qualität der Verbindungen aber schlecht. Ein Internet-Anschluss kann diese Probleme nicht lösen, aber – wenn er funktioniert – lässt sich zumindest ein Teil der Kosten vermeiden, die alle Unternehmen und Institutionen belasten.

 

Es wurde Ende des letzten Jahrhunderts berechnet, dass die Übertragung eines 40seitigen Faxes von Madagaskar in die Elfenbeinküste umgerechnet 45 US-Dollar kosten würde, die Übermittlung als e-mail aber nur 20 Cents. Bisher gibt es in ganz Afrika südlich der Sahara allerdings kaum mehr als drei Millionen Internet-Nutzer (davon zwei Millionen in Südafrika).[1]

 

Wie groß das Interesse am Internet auch im übrigen Afrika ist, zeigt der Erfolg der Internet-Cafés in vielen afrikanischen Metropolen, wo man gegen Bezahlung einen PC mit Internet-Anschluss nutzen kann. Dort reichen ein paar Tische und Stühle, einige Telefonanschlüsse, Modems, PCs und Drucker, und schon kann das Geschäft beginnen.

 

Es geht im Zeitalter der Internet-Kommunikation um ein „empowerment“ der Ausgeschlossenen und Marginalisierten. Grundlage einer anderen Globalisierung auf diesem Gebiet ist erst einmal, die Fähigkeit zu gewinnen, in diesem System „mitzumischen“. Ein erster Schritt besteht darin, überhaupt zu „power“ im Sinne von elektrischer Energie zu kommen. Zwar gibt es auch Versuche, Internetzugänge mit Mobiltelefonen zu ermöglichen und die erforderliche Elektrizität mit kleinen Solaranlagen zu erzeugen, aber der Anschluss ans Stromnetz ist aus vielen anderen wirtschaftlichen Gründen wichtig, und deshalb spricht viel dafür, die Elektrifizierung der Dörfer und Kleinstädte im Süden der Welt voranzubringen.

 

Unverzichtbar: Festnetz plus Handynetz

 

Ebenso gilt es, die Telefonversorgung grundlegend zu verbessern. Dafür gibt es inzwischen zwei Wege, Festnetzanschlüsse und Handys. Weltweit gibt es neben 1,1 Milliarden Festnetztelefonanschlüssen etwa eine Milliarde Mobiltelefone. Bei diesen Zahlen ist zu berücksichtigen, dass viele Festnetznutzer zusätzlich ein Handy haben. Der Mobiltelefonboom hat dennoch vielen Menschen im Süden der Welt geholfen, den Anschluss an die globale Kommunikation zu finden.

 

Dies gilt beispielsweise für Bangladesch. Dort hat die Grameen Bank, deren Basis viele Tausend Frauen in kleinen örtlichen Kreditgenossenschaften sind, eine eigene Telefongesellschaft gegründet, um den Armen den Zugang zum Telefon zu eröffnen. Grameen Telecom stellt jeweils einer Frau im Dorf ein Mobiltelefon zur Verfügung, das sie in Raten abbezahlt. Das fällt meist nicht schwer, denn es gibt eine große Zahl von Telefonkunden, im Durchschnitt etwa 150 bis 170 in der Woche. Bauern erkundigen sich telefonisch nach den Preisen auf dem Markt der nächsten größeren Stadt und können so einen besseren Preis beim Verkauf ihrer Ernte an einen Aufkäufer erzielen.

 

Andere erkundigen sich, ob der Händler in der Stadt eine Maschine oder ein Ersatzteil vorrätig hat. Das „Village Phone“ erspart lange Wege. Ebenso eröffnet das Telefon die Aussicht auf Hilfe, wenn jemand schwer krank ist und einen Arzt braucht. Nicht zu vergessen sind die lohnenden Überseetelefonate. Viele Tausend Menschen aus Bangladesch arbeiten im Mittleren Osten, in Europa und Nordamerika. Nicht selten bricht nach einiger Zeit die Verbindung zu ihnen ab, was auch bedeutet, dass keine Zahlungen an die Familien in der Heimat mehr kommen. Dank des Handys ist es jetzt möglich, die Verwandten in Katar oder Los Angeles anzurufen, und das führt dann oft dazu, dass wieder Geldüberweisungen eintreffen. Die Kosten des Telefonats sind also gut angelegt.

 

Kommunikation im Zeitalter der Globalisierung hat ihre eigenen Gesetze, und die Frauen, die im Besitz eines Handys sind, ermöglichen es auch anderen Dorfbewohnern, an den neuen Möglichkeiten zu partizipieren. Für die Frauen bedeutet der Handybesitz, dass sie ein sehr viel höheres Einkommen als früher haben und dass ihr sozialer Status deutlich steigt, sind sie doch diejenigen, die den Zugang zum Rest der Welt eröffnen. Grameen Telecom hat inzwischen etwa 10.000 Frauen mit Mobiltelefonen ausgestattet. Dank des Grameen Kleinkreditprogramms bestehen Kontakte zu verantwortungsbewussten Frauen in zahlreichen Dörfern, sodass es realistisch ist, die Zahl der Frauen mit Handys bis Ende 2004 auf 50.000 zu erhöhen. Damit ist dann der größte Teil des Landes telefonisch erreichbar.

 

Um den Aufbau der teuren Sendestationen zu finanzieren, hat Grameen Telecom gemeinsam mit Geschäftspartnern auch ein kommerzielles Mobiltelefonangebot für zahlungskräftige Kunden aufgebaut, das immerhin 500.000 Kunden hat und damit einen Marktanteil von 70 Prozent erreichen konnte. Kosten wurden dadurch gespart, dass die Mobilfunk-Sendestationen an bestehenden Eisenbahnlinien gebaut und die Leitungen, die sie verbinden, ohne großen Aufwand parallel zu den Eisenbahnschienen verlegt werden können.[2]

 

Telekommunikation – vielerorts immer noch teuer

 

Ist dies ein Modell für die übrigen armen Länder Afrikas, Asiens und Lateinamerikas? Mit Einschränkungen. Bangladesch hat im Blick auf eine Mobiltelefonversorgung eine Reihe von Vorteilen. Das Land ist dicht besiedelt und zum großen Teil flach. In anderen Ländern können die Kosten für ein landesweites Netz sehr viel höher sein. Außerdem verfügte die Grameen Bank über ein landesweites Netz von Frauengruppen, mit denen schon seit vielen Jahren eine vertrauensvolle Zusammenarbeit besteht. Vergleichbare Netzwerke, mit denen eine lokale Mobiltelefonversorgung aufgebaut werden könnte, fehlen in den meisten anderen Ländern. Kommerziell angebotene Handys und Handytelefonate sind dagegen in den meisten Ländern des Südens noch teuer. Auf dem privatisierten Mobilfunkmarkt Nigerias kostete ein Handy-Telefonat Mitte 2001 immerhin etwa einen halben Euro plus Grundgebühren.[3]

 

Außerdem ist auf diesem Wege nach den heutigen technischen Möglichkeiten kein preiswerter und leistungsstarker Internet-Zugang möglich. Deshalb kann das Beispiel von Grameen Telecom dazu anregen, preiswerte Zwischenlösungen zu finden und die lokale Bevölkerung einzubeziehen. Für eine Integration in moderne Informations- und Wirtschaftskreisläufe ist nach dem heutigen Stand der Technik weiterhin der Aufbau eines Festnetzes erforderlich.

 

Es mag paradox klingen, die andere Globalisierung ausgerechnet mit Strommasten und Überlandtelefonleitungen zu beginnen, aber es muss vor einer falschen Romantisierung gewarnt werden. Viele junge Leute aus Dörfern ohne Stromanschluss streben von diesem einfachen Leben fort, hin zu den „Lichtern der Großstadt“. Sie stört die Stromleitung mitten durch die „unberührte“ Natur nicht, die vielleicht manche Touristen irritiert, die das „ursprüngliche“ Afrika suchen – und in einem klimatisierten Landrover der neuesten Bauart mit eingebautem kleinen Kühlschrank sitzen.

 

In 35 afrikanischen Ländern hat nicht einmal jeder 100. Haushalt einen Telefonanschluss und diese Anschlüsse funktionieren oft nicht einmal. Deshalb soll zu den meistgehassten Personen in Kenia eine Frau gehören, die die meisten Telefonkunden nicht kennen, deren Stimme sie aber schon Hunderte Male gehört haben: „Alle Leitungen sind derzeit belegt, probieren Sie es zu einem späteren Zeitpunkt erneut“. 145 Diese Missstände haben gravierende Auswirkungen auf das Alltagsleben und die wirtschaftliche Entwicklung. Dass 70 Prozent der ländlichen Bevölkerung Afrikas noch immer keinen Zugang zu Elektrizität haben, wirkt sich noch negativer aus.[4]

 

Hoher Investitionsbedarf für Elektrizitäts- und Telekommunikationsinfrastruktur

 

Wie groß die erforderlichen Investitionen sind, ist daran abzulesen, dass die Investitionskosten pro Telefonanschluss etwa 1.000 US-Dollar in Städten betragen, und in ländlichen Gebieten ein mehrfacher Betrag erforderlich ist.[5] Deshalb ist zu befürchten, dass auch in Zukunft nur jene Gebiete mit Telefonanschlüssen versorgt werden, in denen es genügend kaufkräftige Kunden gibt. Immerhin beweist der Senegal, dass es möglich ist, 70 Prozent der Bevölkerung einen Zugang zum Telefonanschluss und vielen einen Internetzugang durch Telezentren zu ermöglichen. Diese mittlerweile 10.000 Läden werden privat betrieben und liegen meist an wichtigen Verkehrswegen, was den Bau des Leitungsnetzes erleichterte.[6]

 

Die Elektrifizierung und der Aufbau landesweiter Telefonnetze scheitern in vielen Regionen im Süden der Welt vor allem an drei Faktoren: dem fehlenden Geld, dem Desinteresse der politisch und wirtschaftlich Mächtigen und an ihrer Unfähigkeit, ein effizientes Versorgungssystem aufzubauen. Alle drei Hindernisse sind schwer zu überwinden. In der Vergangenheit standen Gelder von staatlichen Entwicklungsorganisationen und von Institutionen wie der Weltbank oft für Großprojekte wie gewaltige Staudämme zur Elektrizitätserzeugung zur Verfügung, und das war auch genau das, was viele Regierungen im Süden der Welt wollten. Erstens brachte ein solches Projekt Prestige ein und zweitens bot die Auftragsvergabe an internationale Konzerne genügend Möglichkeiten, Bestechungsgelder zu kassieren.

 

Erfreulicherweise gibt es mittlerweile zahlreiche kleine Wasser- und Energieprojekte, die beweisen, dass es möglich ist, mit begrenzten Mitteln eine regionale Versorgung aufzubauen. Viele kirchliche Entwicklungseinrichtungen in den Ländern des Südens und ihre überseeischen Partnerkirchen und -organisationen beteiligen sich an solchen Initiativen. Ein Beispiel ist die „Fördergesellschaft für angepasste Technologie – FAKT“ mit Sitz in Stuttgart. Dieses international tätige Beratungsunternehmen wurde von kirchlichen Hilfswerken gegründet und hat kleine Wasser- und Stromanlagen zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit gemacht. Organisationen wie Misereor, Brot für die Welt und der Evangelische Entwicklungsdienst fördern solche Projekte und tragen auf diese Weise dazu bei, das alltägliche Leben, die Wirtschaftsaktivitäten und die Kommunikationsmöglichkeiten in den oft abgelegenen Regionen zu verbessern.

 

Da Kirchen, Nichtregierungsorganisationen und vor allem die örtliche Bevölkerung nicht alle Lücken schließen können, die eine verfehlte Regierungspolitik hinterlässt, ist das Engagement für eine staatliche Politik wichtig, die das Interesse der Menschen in den marginalisierten Gebieten an Strom und Telefonanschlüssen ernst nimmt. Dazu gehören nicht nur arme ländliche Gebiete, sondern auch viele städtische Armenviertel. Erschwert wird die Verwirklichung solcher Konzepte dadurch, dass viele Regierungen im Süden der Welt – vor allem unter dem Druck von Weltbank und Internationalem Währungsfonds – die Elektrizitäts- und Telefongesellschaften privatisiert haben. Jetzt sind deren Gewinnerwartungen zu einem Faktor geworden, wenn es um die Frage geht, wie stark die Versorgungsnetze ausgebaut werden. Wo die Möglichkeiten der Menschen gering sind, hohe Stromrechnungen zu bezahlen und sich einen privaten Telefonanschluss legen zu lassen, besteht auch kein Interesse der privaten Anbieter, für viel Geld Leitungen zu legen. Hier geht es also um langwierige politische und wirtschaftliche Auseinandersetzungen, die aber ausgefochten werden müssen im Interesse der betroffenen Bevölkerung.

 

Telekommunikation in armen Ländern angesichts der Herausforderungen der Globalisierung

 

Der Kampf gegen die Unfähigkeit der Zuständigen ist nicht einfacher, denn hier geht es darum, ein Grundübel im Regierungs- und Verwaltungssystem vieler Länder des Südens zu bekämpfen, nämlich Leute aufgrund verwandtschaftlicher Beziehungen, politischer Opportunität oder schlicht, um sie an anderen Stellen los zu werden, auf verantwortliche Posten in Versorgungsunternehmen zu setzen, für die sie absolut nicht qualifiziert sind und auch keine Anstrengungen unternehmen, solche Qualifikationen zu erwerben. Solche Fälle gibt es auch in der westlichen Welt in größerer Zahl, aber sie wirken sich nicht so verheerend aus, weil viele der Versorgungsunternehmen auch dann effizient arbeiten, wenn der politisch protegierte Vorstandsvorsitzende seine Aufgaben kaum wahrnimmt und alle erleichtert sind, wenn er sich zumindest nicht in die alltägliche Arbeit einmischt, von der er ohnehin nichts versteht.

 

Es kann gar nicht genug betont werden, wie wichtig es ist, die Kirchen und sozialen Organisationen und Bewegungen im Süden der Welt darin zu unterstützen, die Auseinandersetzung um eine angemessene Versorgung der ganzen Bevölkerung mit Strom- und Telefonanschlüssen aufzunehmen und durchzuhalten. Ein solches Engagement scheint auf den ersten Blick nicht im Zentrum kirchlichen Handelns zu stehen, aber wem es mit der Bekämpfung von Armut und Elend und einer anderen Globalisierung ernst ist, der kann nicht ignorieren, dass viele Millionen Menschen aus dem modernen Wirtschaftsleben schon deshalb weitgehend ausgeschlossen sind, weil ihnen der Zugang zu Strom und Telefon fehlt.

 

Der Anschluss eines Dorfes an das Strom- und Telefonnetz allein löst noch keinen wirtschaftlichen Aufschwung aus. Es müssen noch viele andere Faktoren hinzukommen, und das gilt besonders dann, wenn es sich um eine sozial gerechte und ökologisch angemessene wirtschaftliche Entwicklung handeln soll. Dass die Verbesserung der Versorgungssysteme aber eine Grundvoraussetzung für eine wirtschaftliche Entwicklung ist, zeigte sich zum Beispiel nach der deutschen Wiedervereinigung, als zunächst einmal Milliardenbeträge in diese Infrastruktur in den neuen Bundesländern investiert wurden. Es mag zwar merkwürdig erscheinen, aber in der Frage des Anschlusses neuer Gebiete an die Strom- und Telefonnetze sind sich diejenigen einig, die eine herkömmliche Modernisierung anstreben, und diejenigen, die nach einer anderen Globalisierung suchen. In der Frage, wie der Strom erzeugt wird und welche Schritte nach dem Ausbau der Infrastruktur notwendig sind, gibt es dann allerdings wieder erhebliche Unterschiede.

 

Wenn der Anschluss an die Strom- und Telefonnetze geschafft ist, gibt es eine Grundlage dafür, systematisch alternative Kommunikations- und Mediensysteme aufzubauen. Dazu gehört auch ein Zugang zum Internet, um Informationen zu erhalten, um mit anderen Kirchen, Institutionen und Gruppen zu kommunizieren und um die eigenen Anliegen, die eigene Arbeit und die eigenen Positionen bekannt zu machen.

 

 

Dieser Text ist der 2002 erschienenen Studie „Visionen und kleine Schritte – Auf dem Weg zu einer anderen Globalisierung“ entnommen, die das Evangelische Missionswerk in Deutschland herausgegeben wurde.

 

© Evangelisches Missionswerk in Deutschland, Hamburg

 

Verfasser: Frank Kürschner-Pelkmann

 



[1] Vgl. epd-Entwicklungspolitik, 1-2/2001, S. 8

[2] Vgl. Sean Hawkey: Grameen Telecom, in: Action, Newsletter der Weltvereinigung für Christliche Kommunikation, Februar 2002, S. 7, sowie Joachim von Braun u. a.: Armutsbekämpfung über Glasfaser und Funknetz, in: Entwicklung und Zusammenarbeit, 4/2001, S. 118f.

[3] Vgl. Neue Zürcher Zeitung, 11.8.2001

[4] Vgl. Süddeutsche Zeitung, 8.9.2001

[5] Vgl. Uwe Afemann: Anschluss gesucht, in: Entwicklung und Zusammenarbeit, 4/2000, S. 108ff.

[6] Vgl. Entwicklung und Zusammenarbeit, 4/2000, S. 110f.